Der Kantforschung fehlte ein Buch über Kants Ansichten über die Musik als Gegenstand philosophischer Analyse noch. Umso begrüßenswert Giordanettis vorliegende, sehr gut dokumentierte und noch besser argumentierte Monographie. Ihr schlichter Titel behauptet die etwa verdrängte Tatsache, dass sich Kant doch ausgiebig mit Musik beschäftigt habe. Die bisher geltende gemachte Evidenz sprach allerdings dagegen. Zunächst wurde die Geringschätzung der Musiklehre dadurch rechtfertigt, dass Kant im § 53 der KU eine Einteilung der schönen Künste anhand einer „Vergleichung ihres ästhetischen Werths [...] untereinander“ aufstelle, in der der Musik als der von der Kultur der Erkenntnisvermögen am weitesten entfernten Kunst der unterste Rang gebührt, „weil sie bloß mit Empfindungen spielt“ (KgS 5:329). Die Musik gilt für Kant in der Tat als die „Sprache der Affecten“ (KgS 5:328-330). Darüber hinaus — so wurde auch biographisch belegt — war Kant der Musik überdrüssig. Er nennt ein „Mangel der Urbanität“, dass die Musik nach Beschaffenheit der Instrumente den Ton „weiter, als man ihn verlangt, (auf die Nachbarschaft) aufbreitet und so sich gleichsam aufdringt, mithin der Freiheit andrer außer der musikalischen Gesellschaft Abbruch thut“ (KgS 5:330). Drittens fällt es auf, dass während Kant die Dichtkunst in ganz bestimmten historischen Gestalten repräsentiert, wird die Musik nur als solche vorgestellt. In keinem der uns erhaltenen Dokumenten — weist Giordanetti darauf hin —, und vor allem weder in der KU noch in den die Anthropologie betreffenden Texten, sei auch nur ein einziger Name eines Komponisten oder Musikers zu finden (S. 12). Dergleichen negativen Ergebnissen zum Trotz, ist Giordanetti doch an die Arbeit gegangen. Im ersten Kapitel wurden Kants Quellen erarbeitet. Im zweiten Kapitel verfolgt Giordanetti aufgrund der uns zur Verfügung stehenden Dokumente die Phasen, die den soeben zitierten Äußerungen der KU vorangehen. Das dritte widmet sich der Struktur der Kantischen Argumentation und ihrer formalen Gliederung,— denn ohne eine solche Analyse wäre Kants Theorie selber, meint Giordanetti zu Recht, „zu einem bloßen Konglomerat von Meinungen, und ihre Darstellung zu einer Doxographie“ geblieben (S. 13). Denn Musik und Töne, tauchen als Objekte reiner Geschmacksurteile nicht nur in §§ 51 und 53, sondern auch in §§ 7, 13, 14 und 16 der „Analytik des Schönen“ auf. Auch in der „Allgemeinen Anmerkung zur Analytik“ ist von Musik und Tönen die Rede. Sie kommen wieder in der nach der „Deduktion der ästhetischen Urteile“ im § 42 durchgeführten Besprechung der „intellektuellen Interesses“ am Schönen vor und werden einer noch tieferen Analyse innerhalb der Kunsttheorie (§§ 43-53) unterzogen. Nicht zuletzt wird auf Musik und Töne auch in der „Kritik der teleologischen Urteilskraft“ angespielt, nämlich im § 62. Schließlich ist eine wichtige Stelle im § 91 zu erwähnen, welche mit dem § 14 in enge Beziehung steht und sich auf den Äther bezieht. Damit wird deutlich, welche neue Kenntnisse eine bezüglich wichtiger Lehrstücke noch ausstehende ausführliche Analyse der KU zur Verfügung stellen kann, wobei unter den Dokumenten die 1997 erschienene kritische Edition der Anthropologie-Nachschfriften eine wichtige Rolle spielt.
Piero Giordanetti, Kant und die Musik (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005)
POZZO, Riccardo
2009-01-01
Abstract
Der Kantforschung fehlte ein Buch über Kants Ansichten über die Musik als Gegenstand philosophischer Analyse noch. Umso begrüßenswert Giordanettis vorliegende, sehr gut dokumentierte und noch besser argumentierte Monographie. Ihr schlichter Titel behauptet die etwa verdrängte Tatsache, dass sich Kant doch ausgiebig mit Musik beschäftigt habe. Die bisher geltende gemachte Evidenz sprach allerdings dagegen. Zunächst wurde die Geringschätzung der Musiklehre dadurch rechtfertigt, dass Kant im § 53 der KU eine Einteilung der schönen Künste anhand einer „Vergleichung ihres ästhetischen Werths [...] untereinander“ aufstelle, in der der Musik als der von der Kultur der Erkenntnisvermögen am weitesten entfernten Kunst der unterste Rang gebührt, „weil sie bloß mit Empfindungen spielt“ (KgS 5:329). Die Musik gilt für Kant in der Tat als die „Sprache der Affecten“ (KgS 5:328-330). Darüber hinaus — so wurde auch biographisch belegt — war Kant der Musik überdrüssig. Er nennt ein „Mangel der Urbanität“, dass die Musik nach Beschaffenheit der Instrumente den Ton „weiter, als man ihn verlangt, (auf die Nachbarschaft) aufbreitet und so sich gleichsam aufdringt, mithin der Freiheit andrer außer der musikalischen Gesellschaft Abbruch thut“ (KgS 5:330). Drittens fällt es auf, dass während Kant die Dichtkunst in ganz bestimmten historischen Gestalten repräsentiert, wird die Musik nur als solche vorgestellt. In keinem der uns erhaltenen Dokumenten — weist Giordanetti darauf hin —, und vor allem weder in der KU noch in den die Anthropologie betreffenden Texten, sei auch nur ein einziger Name eines Komponisten oder Musikers zu finden (S. 12). Dergleichen negativen Ergebnissen zum Trotz, ist Giordanetti doch an die Arbeit gegangen. Im ersten Kapitel wurden Kants Quellen erarbeitet. Im zweiten Kapitel verfolgt Giordanetti aufgrund der uns zur Verfügung stehenden Dokumente die Phasen, die den soeben zitierten Äußerungen der KU vorangehen. Das dritte widmet sich der Struktur der Kantischen Argumentation und ihrer formalen Gliederung,— denn ohne eine solche Analyse wäre Kants Theorie selber, meint Giordanetti zu Recht, „zu einem bloßen Konglomerat von Meinungen, und ihre Darstellung zu einer Doxographie“ geblieben (S. 13). Denn Musik und Töne, tauchen als Objekte reiner Geschmacksurteile nicht nur in §§ 51 und 53, sondern auch in §§ 7, 13, 14 und 16 der „Analytik des Schönen“ auf. Auch in der „Allgemeinen Anmerkung zur Analytik“ ist von Musik und Tönen die Rede. Sie kommen wieder in der nach der „Deduktion der ästhetischen Urteile“ im § 42 durchgeführten Besprechung der „intellektuellen Interesses“ am Schönen vor und werden einer noch tieferen Analyse innerhalb der Kunsttheorie (§§ 43-53) unterzogen. Nicht zuletzt wird auf Musik und Töne auch in der „Kritik der teleologischen Urteilskraft“ angespielt, nämlich im § 62. Schließlich ist eine wichtige Stelle im § 91 zu erwähnen, welche mit dem § 14 in enge Beziehung steht und sich auf den Äther bezieht. Damit wird deutlich, welche neue Kenntnisse eine bezüglich wichtiger Lehrstücke noch ausstehende ausführliche Analyse der KU zur Verfügung stellen kann, wobei unter den Dokumenten die 1997 erschienene kritische Edition der Anthropologie-Nachschfriften eine wichtige Rolle spielt.I documenti in IRIS sono protetti da copyright e tutti i diritti sono riservati, salvo diversa indicazione.