Syntaktische Wortfelder: von den "wesenhaften Bedeutungsbeziehungen" über die "Kollokationen" und "Selektionsbeschränkungen" bis zu den "lexikalischen Solidaritäten"

CANTARINI, Sibilla
2007-01-01

Abstract

Die Hypothese, dass der Wortschatz einer Sprache strukturiert und nicht eine Gesamtheit von heterogenen Einheiten ist, entspricht unserem Bedürfnis nach der logischen Kohärenz der Sprache. Nach dem europäischen Strukturalismus, so wie er sich auch im deutschen Bereich vor und nach W. Porzig entwickelt hat, wird der gesamte Wortschatz in Paradigmen strukturiert angesehen. Aufgrund der Komponentenanalyse, die sich auf die Hypothese des Isomorphismus des Wortschatzes mit der phonologischen Ebene stützt, wird jede sprachliche Einheit, in der Regel ein Wort, nach ihren semantischen Merkmalen analysiert und durch deren Kombinationen beschrieben. Der Status der semantischen Merkmale, wie sie vom Strukturalismus aufgefasst werden, erweist sich in den darauf folgenden Jahren als fragwürdig, sofern nicht irrelevant sein dürfte, „ob die semantischen Merkmale als sprachliche psychologisch-abbildhafte, begrifflich-gnoseologische, ontologisch-referentielle oder transzendentale Einheiten aufgefasst werden, denen dann auch interlinguale/universale Gültigkeiten im Sinne atomarer Begriffe zukäme.“ Einwände gegen die Methode der Komponentenanalyse hat es bekanntlich nicht nur innerhalb der Linguistik gegeben, sondern auch von Seiten der Psychologie, die sich dabei auf die Theorie unscharfer Mengen stützt, und der Philosophie. Die strukturalistische Auffassung, dass der gesamte Wortschatz in Paradigmen strukturiert ist, die nach der Methode der europäischen Komponentenanalyse analysiert werden, hat die Evolution der strukturalistischen Theorien, was Wortfelder betrifft, stark beeinflusst. Trotzdem gibt es in der strukturalistischen Tradition keinen notwendigen Zusammenhang zwischen der Wortfeldanalyse und der Methode der Komponentenanalyse, was schon Anfang der achtziger Jahre unterstrichen wird. Abgesehen von der Semenforschung ist die funktionalistische Wortfeldforschung nicht für inaktuell zu erklären, und zwar aus dem Hauptgrund, dass isolierte lexikalische Einheiten früher oder später als zusammenhängend erlernt werden. In diesem Beitrag wird u. a. betont, dass die Begriffe parataktisches Wortfeld und paradigmatisches Bedeutungsfeld, die wir J. Trier bzw. W. Porzig verdanken, auf zwei unterschiedliche Auffassungen zurückzuführen sind, sofern sie zwar auf strukturierte lexikalische Mengen auf der paradigmatischen Achse hinweisen, aber während das parataktische Wortfeld eine gegliederte Menge von begrifflich benachbarten bzw. sinnverwandten Wörtern ist, ist das paradigmatische Bedeutungsfeld eine Menge von lexikalischen Einheiten, die aufgrund der Gleichheit der Distribution, d. h. des Vorkommens der lexikalischen Einheit in einer bestimmten Umgebung definiert wird. Es wird demnach aufgezeigt, dass diese Begriffe zwei unterschiedliche lexikalische Paradigmen, das Wortfeld und die Klasse, bei E. Coseriu ergeben haben, was oftmals von den Sprachwissenschaftlern verkannt wird. Auch die Bezeichnung lexikalische Solidarität, die den Begriff wesenhafte Bedeutungsbeziehung wieder aufnimmt, weicht von diesem ab, sofern die wesenhaften Bedeutungsbeziehungen im Gegensatz zu den lexikalischen Solidaritäten auch kognitive Aspekte, d. h. Eigenschaften der Referenten, miteinbeziehen, wobei sie unter diesem Aspekt den Selektionsbeschränkungen näher treten. In Anbetracht der obigen Überlegungen ist es offenkundig, dass E. Coseriu zwar den Gedanken von W. Porzig entwickelt, dass er aber gleichzeitig dessen Auffassung anhand der Komponentenanalyse einschränkt und die Aspekte, die in diesem Beitrag hervorgehoben werden, in den Hintergrund stellt. Der Aufsatz von W. Porzig erscheint heutzutage äußerst modern; seine Begriffe paradigmatisches Bedeutungsfeld und wesenhafte Bedeutungsbeziehung ergeben sich als erstaunlich innovativ, wenn sie mit den gegenwärtigen Begriffen der heutigen Lexikographie und Lexikologie verglichen werden. Der semantische Deskriptor Objektklasse, den wir G. Gross verdanken und der als die kleinste distributionelle Einheit, die über die Syntax definierbar und kontrollierbar ist, bestimmt wird, ist bspw. dem Begriff paradigmatisches Bedeutungsfeld von W. Porzig sehr ähnlich. Auch die Beziehungen zwischen den Objektklassen und deren Elemente können letzten Endes auf den Begriff wesenhafte Bedeutungsbeziehungen zurückgeführt werden, indem sie auch kognitive Aspekte sowie die wesenhaften Bedeutungsbeziehungen mit einschließen, und nicht nur die Beziehungen zwischen zwei Wörtern, sondern auch die Kombinatorik aller Einheiten betreffen, die mit dem Prädikat semantisch verbunden sind. Unter der Perspektive, die hier eingeführt wird, erscheint W. Porzig nicht nur als Vorläufer von E. Coseriu, sondern auch als ein ausgesprochener Erneuerer, dessen Ideen später in verschiedenen Bereichen der theoretischen und angewandten Linguistik, von der strukturalistischen Semantik über die generative Theorie und Korpuslinguistik bis zur kognitiven Semantik und den jüngsten theoretischen Ansätzen der Übersetzungsforschung wieder aufgenommen werden.
2007
wesenhafte Bedeutungsbeziehungen, Kollokationen, Selektionsbeschränkungen, lexikalische Solidaritäten
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Utilizza questo identificativo per citare o creare un link a questo documento: https://hdl.handle.net/11562/317732
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