Der Begriff des habitus reicht in der Geschichte der philosophischen Termino- logie bis in die Antike zurück. Dort bedeutet er die Veranlagung für bestimmte Handlungen bzw. Leidenschaften, wie hexis (Character) bei einem einzelnen Menschen oder ethos (Sitte) bei einer Gruppe von Menschen. Das über einen Habitus erworbene Können resultiert aus der Wiederholung und Einübung ein- zelner Handlungen, d.h. aus Erfahrung und Gewöhnung. In diesem Sinne pro- duziert das ethos (habitudo, consuetudo) die hexis (habitus), d. h. eine bestimmte Richtung der Handlungsweisen und somit eine zweite Natur. Gemäß Aristoteles ist der Habitus doppelter Natur: Zum einen folgen die dianoetischen Tugenden dem rationalen Prinzip als solchem; zum anderen gehorchen die sittlichen Tu- genden der Vernunft, wie das Kind dem Vater (Eth. Nic. Alpha 13, 1103 a 3–5). Die Tugenden wachsen in uns weder durch die Natur noch wider die Natur. Die Natur gibt uns die Fähigkeit, sie in uns aufzunehmen, und diese Anlage wird durch den Habitus zur Entwicklung gebracht (Eth. Nic. Beta 1, 1103 a 24–26). Die spezifisch logische und erkenntnistheoretische Bedeutung der dianoetischen Tugenden wurde von Wilhelm Risse auf die einfache Formel gebracht, dass sie Teil eines Sonderproblems der Logik sei: das Problem der Suche nach der Er- kenntnis und der Geltung allgemeiner Prinzipien: »Man will im Sinne der Aris- totelischen Beweistheorie nicht aus ungeprüften Ausnahmen, sondern nur aus sachlich vertretbaren Voraussetzungen schließen. Indem also die Schulphiloso- phie des 16.Jahrhunderts nach dem materialen Inhalt, nicht nur nach dem for- malen Ausbau ihrer Schlüsse fragt, knüpft sie an den Aristotelischen Begriff des Wissens (An. Post. Alpha 2, 71 b 9), nicht an das Urteilsvermögen des Verstandes an. Ihre Erkenntnisfrage lautet also nicht: wie ist Erkenntnis möglich?, sondern: wie sind die Prinzipien der Wissenschaft aus den Dingen erschlossen? Wie ver- hält sich die Vernunft zur Erfahrung? Dieses in der Induktionstheorie zusam- mengefassteProblembringtim16.JahrhundertzweiAnsätzehervor:funktionell die Methodenlehre und substantiell die Lehre der habitus, namentlich der intelli- gentia, als die Kenntnis der grundlegenden Prinzipien des Wissens.«

Die Begründungsfunktion der Habituslehre bei Piccolomini und Duodo

POZZO, Riccardo
2016-01-01

Abstract

Der Begriff des habitus reicht in der Geschichte der philosophischen Termino- logie bis in die Antike zurück. Dort bedeutet er die Veranlagung für bestimmte Handlungen bzw. Leidenschaften, wie hexis (Character) bei einem einzelnen Menschen oder ethos (Sitte) bei einer Gruppe von Menschen. Das über einen Habitus erworbene Können resultiert aus der Wiederholung und Einübung ein- zelner Handlungen, d.h. aus Erfahrung und Gewöhnung. In diesem Sinne pro- duziert das ethos (habitudo, consuetudo) die hexis (habitus), d. h. eine bestimmte Richtung der Handlungsweisen und somit eine zweite Natur. Gemäß Aristoteles ist der Habitus doppelter Natur: Zum einen folgen die dianoetischen Tugenden dem rationalen Prinzip als solchem; zum anderen gehorchen die sittlichen Tu- genden der Vernunft, wie das Kind dem Vater (Eth. Nic. Alpha 13, 1103 a 3–5). Die Tugenden wachsen in uns weder durch die Natur noch wider die Natur. Die Natur gibt uns die Fähigkeit, sie in uns aufzunehmen, und diese Anlage wird durch den Habitus zur Entwicklung gebracht (Eth. Nic. Beta 1, 1103 a 24–26). Die spezifisch logische und erkenntnistheoretische Bedeutung der dianoetischen Tugenden wurde von Wilhelm Risse auf die einfache Formel gebracht, dass sie Teil eines Sonderproblems der Logik sei: das Problem der Suche nach der Er- kenntnis und der Geltung allgemeiner Prinzipien: »Man will im Sinne der Aris- totelischen Beweistheorie nicht aus ungeprüften Ausnahmen, sondern nur aus sachlich vertretbaren Voraussetzungen schließen. Indem also die Schulphiloso- phie des 16.Jahrhunderts nach dem materialen Inhalt, nicht nur nach dem for- malen Ausbau ihrer Schlüsse fragt, knüpft sie an den Aristotelischen Begriff des Wissens (An. Post. Alpha 2, 71 b 9), nicht an das Urteilsvermögen des Verstandes an. Ihre Erkenntnisfrage lautet also nicht: wie ist Erkenntnis möglich?, sondern: wie sind die Prinzipien der Wissenschaft aus den Dingen erschlossen? Wie ver- hält sich die Vernunft zur Erfahrung? Dieses in der Induktionstheorie zusam- mengefassteProblembringtim16.JahrhundertzweiAnsätzehervor:funktionell die Methodenlehre und substantiell die Lehre der habitus, namentlich der intelli- gentia, als die Kenntnis der grundlegenden Prinzipien des Wissens.«
2016
9783787328987
Aristotele, Francesco Piccolini, Andrea Duodo
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Descrizione: PiccolominiDuodo
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Utilizza questo identificativo per citare o creare un link a questo documento: https://hdl.handle.net/11562/938271
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