Die Begriffsgeschichte erschließt neue Wege zur Geschichtsschreibung, indem sie interdisziplinäre Synergien zur Darstellung bringt. Denn die Begriffsgeschichte berücksichtigt die Entwicklung von disziplinären Lexika, die aus dem Bedürfnis entstehen, eine kulturelle Tradition im Einklang mit der Auseinandersetzung mit anderen einheitlich zu halten, um sie in neue Kontexte zu übersetzen, zu transkribieren. Dafür zwei prominente Beispiele: Als sich Boethius im sechsten Jahrhundert – wie von Tullio Gregory hervorgehoben – daran machte, Aristoteles ins Lateinische zu übertragen, hatte er eine doppelte Motivation: zum einen wollte er die klassische Tradition des Lateins am Leben halten, zum anderen wollte er sie aber auch modernisieren, in dem er die Begriffssprache von Cicero und Seneca in die von dem hellenistischen Aristotelismus bestimmten neuen Kontext transkribierte. Als Immanuel Kant sich im achtzehnten Jahrhundert dazu entschloss, auf die griechischen Termini phainomenon und noumenon zurückzugreifen, lag seine Motivation zum einen darin, dass er die Tradition des philosophischen Schreibens und Lehrens in deutscher Sprache aufrechterhalten und fortführen wollte; dies meinte er aber, zum anderen, eben nur dadurch tun zu können, dass er die Sprache von Meister Eckhart und Martin Luther in das von der Kopernikanischen Revolution bestimmte Paradigma transkribierte und dazu anverwandelnd auf antike Begriffe zurückgriff.

Das M-FIL/06 History of Concepts-Modul an der Università degli Studi di Verona

POZZO, Riccardo
2009-01-01

Abstract

Die Begriffsgeschichte erschließt neue Wege zur Geschichtsschreibung, indem sie interdisziplinäre Synergien zur Darstellung bringt. Denn die Begriffsgeschichte berücksichtigt die Entwicklung von disziplinären Lexika, die aus dem Bedürfnis entstehen, eine kulturelle Tradition im Einklang mit der Auseinandersetzung mit anderen einheitlich zu halten, um sie in neue Kontexte zu übersetzen, zu transkribieren. Dafür zwei prominente Beispiele: Als sich Boethius im sechsten Jahrhundert – wie von Tullio Gregory hervorgehoben – daran machte, Aristoteles ins Lateinische zu übertragen, hatte er eine doppelte Motivation: zum einen wollte er die klassische Tradition des Lateins am Leben halten, zum anderen wollte er sie aber auch modernisieren, in dem er die Begriffssprache von Cicero und Seneca in die von dem hellenistischen Aristotelismus bestimmten neuen Kontext transkribierte. Als Immanuel Kant sich im achtzehnten Jahrhundert dazu entschloss, auf die griechischen Termini phainomenon und noumenon zurückzugreifen, lag seine Motivation zum einen darin, dass er die Tradition des philosophischen Schreibens und Lehrens in deutscher Sprache aufrechterhalten und fortführen wollte; dies meinte er aber, zum anderen, eben nur dadurch tun zu können, dass er die Sprache von Meister Eckhart und Martin Luther in das von der Kopernikanischen Revolution bestimmte Paradigma transkribierte und dazu anverwandelnd auf antike Begriffe zurückgriff.
2009
9783830516965
Studium generale; History of Concepts
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Utilizza questo identificativo per citare o creare un link a questo documento: https://hdl.handle.net/11562/338752
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