„[…] und der Himmel müsse bersten, und die Erde müsse sich wälzen vor Lachen“: Zum Sinn des Lachens in Georg Büchners dramatischen Werken Das aus dem Drama Danton‘s Tod stammende Zitat liefert nicht nur den Beweis für die zerstörerische Kraft des Lachens, sondern es enthält in nuce auch die Fragestellung des vorliegenden Beitrags: Besteht die Absicht des Autors nur darin, den Zuschauer zu verunsichern? Mit welchen Mitteln wird das Lachen in den dramatischen Werken funktionalisiert und welche Effekte produziert es? Das Lachen gilt als komplexes theatrales Zeichen, das verschiedene Funktionen ausführt. Komplexe theatrale Zeichen bestehen aus einer Kombination von Zeichen, die aus einem oder mehreren Zeichensystemen entstammen (vgl. Erika Fischer-Lichte, Ästhetische Erfahrung). Nur bei der Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen den einzelnen beteiligten Zeichen wird erlaubt, die jeweils verschiedene Bedeutung des Lachens in Büchners dramatischen Werken zu deuten. Dementsprechend ist z. B. das Lachen des Doktors und des Hauptmanns im Woyzeck auf die Physiognomik Lichtenbergs zurückzuführen und als Zeichen zu interpretieren, das auf den Stand des Doktors und des Hauptmanns und auf ihre Position in der Gesellschaft hinweist, d.h. als Zeichen der Hierarchisierung. Mimik und Proxemik, die die Theatergeste des Lachens begleiten, indizieren die Machtmechanismen der Gesellschaft, und somit werden die beiden Figuren als Henker enthüllt. Das Lachen der Henker wird zum performativen Denunziationsakt, zur politischen Satire. Das wird durch die Redundanz der Isotopie Lachen in Bezug auf die Politik ersichtlich: Affenkomödie, klatschendes Volk usw. „Ich muß lachen, ich muß lachen“ wiederholt Valerio am Ende der Komödie Leonce und Lena. Die Satire ist ein Denunziationsakt, indem sie die sich konstituierende Wirklichkeit als fiktiv und deshalb als sinnlos entlarvt. Der verunsicherte Zuschauer wird einer Sintflut von Fragen ausgeliefert, die nicht beantwortet werden, ihn dafür aber zur Reflexion bewegen können. In der ästhetischen Vermittlung der Kritik werden innovative Techniken erprobt. Das Komische übernimmt verschiedene Formen: Von dem Grotesken im Sinne Bachtins über die Travestie bis hin zur „Entladung vom Ekel des Absurden.“ Auf der Bühne wird eine Inszenierung gezeigt, die das politische Leben selbst als verblüffende Komödie entlarvt.

„…und der Himmel müsse bersten, und die Erde müsse sich wälzen vor Lachen“: Zum Sinn des Lachens in Georg Büchners dramatischen Werken

GENTILIN, Olivetta
2015-01-01

Abstract

„[…] und der Himmel müsse bersten, und die Erde müsse sich wälzen vor Lachen“: Zum Sinn des Lachens in Georg Büchners dramatischen Werken Das aus dem Drama Danton‘s Tod stammende Zitat liefert nicht nur den Beweis für die zerstörerische Kraft des Lachens, sondern es enthält in nuce auch die Fragestellung des vorliegenden Beitrags: Besteht die Absicht des Autors nur darin, den Zuschauer zu verunsichern? Mit welchen Mitteln wird das Lachen in den dramatischen Werken funktionalisiert und welche Effekte produziert es? Das Lachen gilt als komplexes theatrales Zeichen, das verschiedene Funktionen ausführt. Komplexe theatrale Zeichen bestehen aus einer Kombination von Zeichen, die aus einem oder mehreren Zeichensystemen entstammen (vgl. Erika Fischer-Lichte, Ästhetische Erfahrung). Nur bei der Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen den einzelnen beteiligten Zeichen wird erlaubt, die jeweils verschiedene Bedeutung des Lachens in Büchners dramatischen Werken zu deuten. Dementsprechend ist z. B. das Lachen des Doktors und des Hauptmanns im Woyzeck auf die Physiognomik Lichtenbergs zurückzuführen und als Zeichen zu interpretieren, das auf den Stand des Doktors und des Hauptmanns und auf ihre Position in der Gesellschaft hinweist, d.h. als Zeichen der Hierarchisierung. Mimik und Proxemik, die die Theatergeste des Lachens begleiten, indizieren die Machtmechanismen der Gesellschaft, und somit werden die beiden Figuren als Henker enthüllt. Das Lachen der Henker wird zum performativen Denunziationsakt, zur politischen Satire. Das wird durch die Redundanz der Isotopie Lachen in Bezug auf die Politik ersichtlich: Affenkomödie, klatschendes Volk usw. „Ich muß lachen, ich muß lachen“ wiederholt Valerio am Ende der Komödie Leonce und Lena. Die Satire ist ein Denunziationsakt, indem sie die sich konstituierende Wirklichkeit als fiktiv und deshalb als sinnlos entlarvt. Der verunsicherte Zuschauer wird einer Sintflut von Fragen ausgeliefert, die nicht beantwortet werden, ihn dafür aber zur Reflexion bewegen können. In der ästhetischen Vermittlung der Kritik werden innovative Techniken erprobt. Das Komische übernimmt verschiedene Formen: Von dem Grotesken im Sinne Bachtins über die Travestie bis hin zur „Entladung vom Ekel des Absurden.“ Auf der Bühne wird eine Inszenierung gezeigt, die das politische Leben selbst als verblüffende Komödie entlarvt.
2015
9783828836631
Komik, lachen, verlachen
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Utilizza questo identificativo per citare o creare un link a questo documento: https://hdl.handle.net/11562/939182
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